Seine Leidenschaft für Südtirol führt Andreas Gottlieb Hempel 2003 nach Brixen, wo er eine zweite Heimat findet und seinem Berufsleben eine völlig neue Wendung gibt. Persönliche Vorlieben und finanzielle Notwendigkeiten fließen von nun an in wohltuender Harmonie zusammen und sichern ihm sein Auskommen. Als ausgebildeter Dipl.-Sommelier AIS, Genussbotschafter Südtirol, Natur- und Landschaftsführer und Bierexperte führt er kenntnisreich Gäste durch Südtiroler Weingüter und Landschaften. Dem Schreiben und der Architektur treu verbunden, veröffentlicht er in den „Dolomiten” Artikel über Baukultur in Südtirol, gibt Reiseführer und Bücher zum Thema heraus.
Corona als Chance
Das durch die Corona-Pandemie herbeigeführte abrupte Ende aller touristischen Aktivität, stürzt auch Andreas Gottlieb Hempel in eine ungewohnte Form der Untätigkeit und Unsicherheit. Teils mangels Möglichkeiten, teils zum Schutz der eigenen Gesundheit bleibt auch ihm nichts anderes übrig, als über neue, krisenfeste Geschäftsmodelle nachzudenken.
Jetzt zahlt sich seine jahrelange gute Zusammenarbeit mit Reiseveranstaltern, denen er als Südtirol-Experte (u.a. Zeit-Reisen), schon lange treu ist, doppelt aus. Der Münchner Reiseveranstalter „Genussreisen” startet gemeinsam mit ihm ein Experiment. Auf digitalem Wege sollen ab sofort, die Kundinnen und Kunden von „Genussreisen“ gemeinsam mit Hempel Südtirol-Feeling schnuppern, virtuelle Weinproben erleben und so die Zeit bis nach der Pandemie überbrücken.
Wie das funktioniert, welche Kunden die virtuellen Weinproben ansprechen und ob das Format den Sommelier auch selbst überzeugt, hat er in einem Interview mit dem Schönste Zeit Magazin verraten.
Virtuelle Weinproben – Fixe Idee oder Zukunftsmodell?
Lieber Andreas, Du hast laut eigener Aussage schon zehn virtuelle Weinproben veranstaltet. Welcher Veranstalter steckt dahinter und wie läuft eine solche Veranstaltung ab?
AGH Veranstalter sind die Münchner „Genussreisen“. Teilnehmerzahlen lagen bisher zwischen max. 80 und min. 7 Personen. Diese erhalten zur Wahl eine kleine oder große Box mit ein bzw. zwei Flaschen Wein und Südtiroler Spezialitäten zu 99.- bzw. 149.- €. So kann die virtuelle Reise gleich mit Flaschenöffnung beginnen und „feucht“ ablaufen. Der Schwerpunkt der zweistündigen „Reise“ liegt auf Genuss, insofern spielt mein Bericht über die Südtiroler Weine, den Speck, das Schüttelbrot, die Äpfel und weitere typische Gerichte beim Törggelen eine große Rolle.
Die Sendung geht über ZOOM, die Gäste erhalten einen Einschalt-Link, so dass sie genauso wie wir zu sehen sind und Fragen stellen können. Moderiert wird die „Reise“ von der Geschäftsführerin Beatrix Schell, einer attraktiven und wortgewandten Dame. Ich stelle mich selbst vor und werde zu den einzelnen Themenbereichen von Frau Schell übergeleitet bzw. gefragt, so dass der Ablauf sehr lebendig gestaltet ist. Dazu sehr schöne Fotos und Video-Passagen von der Südtiroler Tourismusgesellschaft IDM sowie Gespräche mit Südtirolern, die bereits vorbereitet sind und eingeschaltet werden.
Welche Voraussetzungen hast Du mitgebracht? Sind die Weinführungen, die Du in „normalen“ Zeiten im Kloster Neustift anbietest, die Basis?
AGH Ich bringe meine Voraussetzung als Südtirol-Kenner (60 Jahre Südtirol und 14 Bücher habe ich dazu geschrieben), Dipl. Sommelier, Bierexperte, Genussbotschafter und Natur-und Landschaftsführer mit.
Voraussetzungen bei den Teilnehmern
Wie werden die Teilnehmer auf die Weinprobe vorbereitet? Welche technische Ausstattung muss vorhanden sein?
AGH Die Teilnehmer werden durch die Einwerbung von „Genussreisen“ vorbereitet und müssen über ZOOM mit Kamera und möglichst per Kopfhörer erreichbar sein.
Und der Wein? Bekommt man den zugeschickt? Oder schaut man nur beim Trinken zu?
AGH Derzeit wird auf meine Empfehlung ein guter Weißburgunder und ein Roter von Manincor (Riserva del Conte) in den Boxen zugeschickt. Beide Weine haben bisher sehr gute Beurteilung von den Gästen während des Trinkens in der Veranstaltung erfahren.
Was bekommt man für sein Geld
Wieviel Wissen wird über Südtirol, über Land und Leute vermittelt? Also ist es entscheidend, dass Du die Region gut kennst und viel darüber erzählen kannst?
AGH Die Themenvielfalt reicht von grundsätzlichen Daten über Südtirol, die Geschichte, den Wein- und Apfelbau, Bozen, Meran und Brixen bis zum Vinschgau und Architektur und wir erzählen möglichst kurzweilig untermischt mit lustigen Geschichten so viel über Südtirol wie in zwei Stunden möglich.
Für wen eignet sich die virtuelle Weinprobe
Werden Experten oder Laien angesprochen und ist man danach, was Winzer und Weine angeht, um viele Erkenntnisse reicher? Oder ist man einfach nur ein wenig beschwipst, für ein paar Minuten raus als dem Alltag und „gut unterhalten“?
AGH Zunächst soll man gut und informativ unterhalten werden. Wir versuchen so viel Wissen über möglichst viel Typisches über Südtirol zu vermitteln – auch durchaus ernsthaft und tiefgängig im Detail.
Lässt sich etwas über das Alter und die Herkunft der Teilnehmer erzählen? Sind das Menschen, die Südtirol auch schon von anderen Reisen kennen?
AGH Bisher hatten wir von Familien mit Hund und Kind, über Geschäftsleute und alleinstehenden Älteren die unterschiedlichsten Gäste, die z.T. bereits in Südtirol – bisweilen mehrfach – waren.
Wie konzentriert sind Deine Zuhörer? Halten sie in der Regel bis zum Schluß durch?
AGH Die Zuhörer – Paare und Einzelpersonen – waren bisher sehr konzentriert und stellten auch Fragen und hielten fröhlich bis zum Schluss durch – Ausnahme war das Betriebsfest mit 80 Personen, wo es hoch her ging und wir nur ein Intermezzo waren. So etwas wollen wir künftig vermeiden, da ist es schade um die Mühe, die man sich für eine bereits sehr angeheiterte Gesellschaft geben muss. Eine Reise habe ich auf Englisch begleitet, da waren unterschiedliche Nationen dabei, die sich auf diese Sprache geeinigt hatten.
Learning by doing
Letzte Frage: Wenn Du selber nicht der Sommelier, sondern einer der Teilnehmer wärst: Würdest Du etwas an dem Format verändern?
AGH Ich bin mit dem Format der „Genussreise Südtirol“ grundsätzlich sehr einverstanden – but learning by doing – wir haben eigentlich bei jeder Reise etwas verändert bzw. neu eingefügt und verständigen uns (Beatrix und ich) jedes mal eine Viertelstunde vorher über das, was wir diesmal anders machen wollen. Es ist also eine dynamische Angelegenheit und sehr von uns beiden abhängig, die wir natürlich unser Bestes geben wollen, in freier Rede und bisweilen munterem Geplauder. Insgesamt glaube ich, dass wir sehr professionell wirken und der Beifall ist echt.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Über Genussreisen
„Genussreisen“ ist ein Münchner Veranstalter, der laut eigenen Angaben seit 15 Jahren Reisen in europäische Genussregionen, u. a. auch ins Piemont, in die Toskana, Südtirol und in das Heimatland der Geschäftsführerin, nach Ungarn anbietet.
Unter dem Titel „Genussreisen Erlebnisbox” werden während der Corona-Pandemie und möglicherweise darüber hinaus virtuelle Genussreisen, gepaart mit kulinarischer Untermalung angeboten. Dafür bekommen Kunden eine Spezialitäten Box zugeschickt und müssen sich zum vereinbarten Zeitpunkt in eine Zoom-Konferenz einwählen.
Die virtuelle Reise soll nach Wunsch der Veranstalter zu einer echten Reise anregen, wenn die Zeit es wieder erlaubt. Denkbar sind für die Zukunft auch Live-Rundgänge, wie von Hempel schon praktiziert: im November führte er ein Gästepaar live und digital durch Bozen.
www.genussreisen.de
Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Dr.arch. Architekt / Journalist u. Publizist / Diplom-Sommelier AIS / Dipl. Genussbotschafter Südtirol / Dipl. Natur- u. Landschaftsführer / Dipl. Bierexperte
I-39042 Bressanone/Brixen (BZ)
www.agh.bz
Ich finde das ist eine tolle Sache. Ich wohne ja selber in einer Weinbauregion. Eines der Weingüter hier scheint online recht gut aufgestellt zu sein, von den anderne hört man dagegen eher wenig. Da ist es echt klasse, wenn sich jemand Gedanken macht, wie man auch in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen eine virtuelle Reise anbieten kann. Die meisten machen eine Weinprobe ja nicht gerade daheim, deshalb verbinde ich damit immer auch eine Genießerauszeit und einen (Kurz)Urlaub. Da ich aber nur die pappsüßen Weine trinke, bin ich doch eher raus, außer es wird mal ein Gemürztraminer oder eine Beerenauslese verschickt. ;)
Ich finde das auch toll. Aber süßer Wein. Ahhh. Der geht echt nur als Dessert. :) Liebe Grüße und vielleicht kommst Du noch auf den Geschmack.
Liebe Charis,
eine digitale Weinverkostung – welch grandiose Idee in diesen Zeiten.
Die erste Frage, die ich dazu im Kopf hatte, war tatsächlich, ob jeder dann daheim einen anderen Wein trinkt und viel Fantasie vonnöten ist. Mit der zuvor zugesandten Box ist das prima gelöst.
Toll, dass es dazu noch Wissenswertes und Unterhaltsames zur Gegend gibt.
Herzlichen Gruß
Anja von STADT LAND WELTentdecker
Also ohne die zugeschickte Box imVorfeld, fände ich es auch nicht so prickelnd. Aber ich habe so etwas ähnliches mal mit Lebkuchen gemacht und dann mit dem fertigen Gebäck beim Backen zugeschaut. Das ist eigentlich ganz cool :)
Liebe Charis,
Eine virtuelle Weinprobe – das ist wirklich kreativ – und ich finde, dass das zur Zeit genau das richtige ist. Ich habe auch schon Weinproben mitgemacht, in real, vor Corona. Da ist so ein schöner Zoom-Abend doch auf jeden Fall großartig. 99 Euro für eine Flasche Wein und ein paar Spezialitäten finde ich aber doch sehr viel – da könnte ich viel Wein von trinken ;-)
Liebe Grüße von Miriam von Nordkap nach Südkap
Liebe Miriam, ich verstehe Deinen Einwand. Zum Preis ist sicher zu sagen, dass es sich um sehr hochwertige Weine handelt, die zum einen direkt aus Südtirol kommen und dass auch der Aufwand insgesamt recht hoch ist. – Aber ich habe mit der Sache sonst nichts weiter zu tun. Für mich war in erster Linie interessant, dass sich inzwischen auch unterschiedliche Generationen sehr souverän der neuen Technik nähern und was insgesamt überhaupt heute möglich ist.
Liebe Grüße
Was für eine originelle, kreative Idee in diesen tristen Zeiten! Zuerst war eine digitale Weinprobe für mich persönlich gar nicht vorstellbar, denn Wein und Laptop wollen so gar nicht zueinander passen. Nachdem ich das Interview jetzt gelesen habe, könnte ich mir durchaus vorstellen, an so einer Veranstaltung teilzunehmen. Sehr inspirierend. Den Veranstaltern wünsche ich viel Aufmerksamkeit und Erfolg, denn gute Ideen gehören einfach belohnt.
LG Renate von Trippics
Hier sieht man malwieder das Not erfinderisch macht und echt gute Dinge dabei herausspringen können!
Selber bin ich zwar kein Weintrinker, aber ich wette, dass es genügend Menschen gibt die dieses Angebot gerne in Anspruch nehmen werden.
LG
Stephan