„An einen Ort zurückzukehren, an dem man einen ganz besonderen filmischen Moment erlebt hat, das passiert ganz gewiss selten.“ erzählt Filmregisseur Jens Meurer am Abend, als für ihn einer dieser besonderen Momente gekommen ist. Es ist ein nebliger und kalter Märztag 2022. Das legendäre, doch zur Zeit in einen Jahrhundertschlaf verfallene Südbahnhotel Semmering und die Wiener Ideenschmiede Supersense, die sich auf den Erhalt analoger Erlebnisse spezialisiert hat, veranstalten einen Filmabend. Vor geladenen Gästen wird mittels eines selten gewordenen 35 mm Filmprojektors Meurers Dokumantarfilm „An Impossible Project“ gezeigt. Auch einige der Protagonisten sind anwesend. Doch obwohl Film und Darsteller einiges an Glanz versprechen: eine der Hauptattraktionen an diesem Abend ist in jedem Fall der Veranstaltungsort.

Der Südbahn folgend zum Semmering in die Wiener Alpen
Schon die Ankunft in dem, eine Stunde Autofahrt von Wien entfernten, Südbahnhotel am Semmering ist ein Erlebnis. Kurvenreich schlängelt sich die Straße fast eintausend Höhenmeter hinauf. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln wäre der Ort in mehr als der doppelten Zeit zu erreichen. Ökologisch gesehen, wäre es eine gesündere Form der Anreise. Und wenn man bedenkt, dass das Haus einstmals von einer Eisenbahngesellschaft, der k.k.priv. Südbahn, erbaut wurde, liegt der Gedanke, die Bahn zu nehmen, sogar nahe. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass die Rückreise am Abend, mangels passender Übernachtungsmöglichkeit notwendig bleibt, ist es keine Option. Schließlich hat das 1882 eröffnete und bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges legendäre Grand Hotel Südbahnhof bereits seit 1976 seine Türen geschlossen.
Was lockt die Cineasten also in diese Region in den sogenannten Wiener Alpen? Die Antwort bekommen wir beim Betreten des über 33.000 Quadratmeter großen Grundstücks. Der Hotelbau, mit einer Bruttogeschossfläche von 18.000 Quadratmetern ist gigantisch groß. Turmspitzen, Fachwerk, Holzbalkone und ein weithin sichtbares grünes Dach schenken dem Gebäude, dass durch unterschiedliche Geschosshöhen und Fassaden schwer zu fassen ist, etwas majestätisches, fast märchenhaftes. In seiner kompletten Größe wäre es nur durch eine Drohne oder Aufnahme aus der Ferne abzubilden. Doch auch aus der Nähe ergeben sich viele spannende und mit Sicherheit beeindruckende Perspektiven.

Filmreife Kulisse: Der Charme eines einstigen Grand Hotels
Von Bergen und Nadelwald umgeben, scheint das durch den Späthistorismus beeinflusste Hotel seit seiner Schließung in einen tiefen Schlaf gefallen zu sein. Wechselnden Eigentümern bis zum aktuellen Besitzer, der Wiener Christian Zeller Privatstiftung, ist es zu verdanken, dass die Bausubstanz dennoch in einer erstaunlich guten Verfassung geblieben ist. Schon von außen taucht der Schein der Kronleuchter im ehemaligen Speisesaal die Fenster in ein warmes Licht. Es zieht uns magisch hinein in das Gebäude. Fast scheint es, als würden wir von der Kulisse des Wes Anderson Films „The Grand Budapest Hotel“ verschluckt. Der Gedanke an Bad Gastein liegt nahe.

Doch auch im Inneren des Südbahnhotels ist die Zeit stehen geblieben. Die Zimmer, die in großen Teilen noch möbliert sein sollen, können wir nicht besichtigen. Trotzdem spüren wir den einstigen Zauber in jeder Ritze. Kunstvoll geraffte Gardinen, fantasievolle Tapetenmuster, ein eigenwilliges Podest mit Sesseln und Zeitungen aus den Fünfziger Jahren. Selbst die eilig installierten Handtuchspender aus Plastik und bereitgestellten Abfalleimer in den Sanitärräumen können nicht darüber hinwegtäuschen: Hier atmet jeder noch die Luft aus einem vergangenen Jahrhundert. Ich fühle mich, als hätten wir einen Timetunnel betreten und wären für ein paar Stunden in dieser vergangenen, uns so fremden und gleichzeitig faszinierenden Welt gefangen.
Dokumentarfilm „An Impossible Project“ – Die Wiederentdeckung des Analogen
Dass „An Impossible Project“ die Wiederentdeckung des Analogen aufgreift, scheint an diesem Abend die einzig logische Konsequenz. Uns erwartet eine Filmvorführung, die nicht digital, sondern mit riesigen Filmrollen vonstatten geht und ein Publikum, dem man spürbar anmerkt, wie sehr es das reale Wiedersehen nach Monaten virtueller Kontakte feiert.
Doch worum geht es in Jens Meurers Dokumentation „An Impossible Project“? Hier schließt sich der Kreis zwischen Film, Regisseur, Protagonist, der Filmmusik und dem Südbahnhotel. „Doc“ alias Florian Kaps ist Anfang der 2000er Jahre angetreten, den vermeintlichen Errungenschaften der digitalen Welt etwas entgegenzusetzen. Seine Begeisterung für analoge Fotografie, lässt ihn in den Augen unserer heutigen Gesellschaft viele verrückte Dinge tun. Eines der größten Abenteuer ist die Rettung der letzten noch verbliebenen Polaroid-Fabriken im niederländischen Enschede, 2008. Doch der Deal erweist sich schnell als vermeintliche Katastrophe. Es stellt sich heraus, dass die Chemikalien für die Polaroid-Filme nicht mehr beschafft werden können. Neue Rezepturen müssen her, es gibt Rückschläge und nur wenige Erfolge, die Jens Meurer in „An Impossible Project“ eindrucksvoll begleitet.

Alte Werte, neue Pläne – Doc / Florian Kaps erfindet sich neu
Wir wollen eine Zukunft neu denken. Für das Analoge in einer digitalen Welt. (Florian Kaps, „Doc“)
Im Gegensatz zum Märchen, endet die Dokumentation nicht damit, dass der Prinz am Ende auf einem Schimmel davon reitet. Auch wenn es die Kulisse des Südbahnhotels hergeben würde. Statt dessen nimmt die Geschichte eine erstaunliche Wendung. „Doc“, stets darauf bedacht, alle fünf Sinne „schmecken, riechen, fühlen, hören, sehen“ zu erhalten, muss sein Herzensprojekt an jüngere, stärker wirtschaftlich orientierte Mitstreiter abgeben. Als sein, als Impossible Project gestartetes Unternehmen tatsächlich wieder den Namen Polaroid nutzen darf, ist er nicht mehr dabei, um den Erfolg zu feiern.
Er erfindet sich neu und entdeckt im venezianischen Dogenhof in Wiens zweitem Bezirk neue Ziele. 2014 eröffnet er ein Restaurant und einen Laden unter dem Namen „Supersense“. Hier entsteht eine Parallelwelt, denn wie überall ist es ein Ort, an dem Analog und Digital nebeneinander existieren. Supersense hat eine Webseite, teilt Veranstaltungen und Angebote über Social Media und verschickt Einladungen per Mail. Trotzdem bleibt Supersense ein Ort, an dem die digitale Zukunft neu gedacht wird, immer darauf ausgerichtet analoge Werte zu erhalten. Und weil Jens Meurer bekennt: „Meine Mission ist es, eine Einladung zu schaffen, diese wirklichen Dinge wieder zu spüren und zu nutzen und sie nicht aufzugeben.“ verfolgt er Docs Weg im Dogenhof filmisch weiter.
Die Idee, dass da jemand gegen den Strom schwimmt, dass er eine Vision hat, hat mich beeindruckt. (Jens Meurer)
„An Impossible Project“ gipfelt mit einem, für den einen oder anderen wie ein Tritt in die Magengrube wirkenden, Besuch im Facebook-Headquarter in Silicon Valley. Wie überzeugend Florian Kaps die Zusammenarbeit mit dem Facebook Analog Research Lab nun wirklich empfand, vermag ich nicht abschließend sagen.
Viel Raum für Emotionen: Das Südbahnhotel Semmering als Filmschauplatz
Rückblickend prägt sich eine Szene ein, auf die Regisseur Jens Meurer in seinen eingangs erwähnten Worten zur Rückkehr an einen besonderen Ort, eingeht. Bei einem von Supersense organisiertem Dinner im Ballsaal des Südbahnhotels finden sich mehrere Protagonisten des Films ein. Unter ihnen ist Maria Sebregondi, die mit ihren Moleskine-Notizbüchern* als eine Pionierin der Wiederentdeckung des Analogen gilt.
Als die amerikanische Sängerin Haley Reinhart zu den Klängen von Sascha Peres und Emily Fredrickson ans Mikrofon tritt, ist das ein Gänsehaut-Moment. Auch, weil Jens Meurer im Nachgang erläutert, dass die Musik live bei diesem Dinner aufgenommen wurde. Wir alle sind Zeugen der Rückkehr oder besser, des Weiterlebens des Analogen. Wie gut das tut, spüren wir im Speisesaal des Südbahnhotels. Romantisch bei Kerzenschein, genau in diesem emotional aufgeladenen Moment.
Südbahnhotel Semmering – Ein exklusiver Veranstaltungsort
suedbahnhotel-semmering.at
Südbahnstraße 27, A 2680 Semmering
Das Südbahnhotel befindet sich südwestlich von Wien, etwa auf der halben Strecke zwischen Wien und Graz. Es liegt nahe der Grenze zur Steiermark im Bundesland Niederösterreich.
Weitere Filme, die hier gedreht wurden: Schachnovelle (2021), Die Theorie von Allem
Ein bekannter Gast war, neben vielen anderen, der Schriftsteller und Poet Peter Rosegger.
Trailer zum Film „An Impossible Project“
Regisseur / Produzent: Jens Meurer
Polyfilm, Wien
Musik: Sascha Peres
Mit: Florian Kaps, Oskar Smolokowski, Maria Sebregondi, Ilona Cerowska

Supersense Wien
Praterstraße 70/1, Wien

Danke an Ulla und Fabian von Schneeweis Wittmann, die uns zu diesem Abend mitgenommen haben.
Mein Hoteltipp in Wien: Das Hotel Altstadt Vienna.
Toller Einblick! Da würde ich auch gerne mal hin! Ich bin gespannt wie es mit dem Hotel weitergeht.
Wie wohltuend ein friedlicher Blick in gute Momente und Monumente der kulturellen Geschichte sein kann.
Doppelt zu schätzen,wenn andererseits in kranken Wahnideen schwere alte Irrtümer mit Gewalt noch einmal heutigen Generationen aufgezwungen werden sollen.